
Auszug aus Geierhals und Hohlkreuz
3.5. Frühkindliche Reflexe weder testen noch auslösen
Mehrfach habe ich schon betont, dass Reflexe keinesfalls über das erste Lebensjahr hinaus immer wieder getestet werden dürfen. Wenn Sie bei einem Therapeuten sind, der das macht, bitte fragen Sie, welchen therapeutischen Nutzen dies für das Kind hat. Wenn er Ihnen keine für Sie zufriedenstellende Antwort geben kann, verbitten Sie sich, dass es zu weiteren Testungen kommt.
Tatsache ist: Solche Tests sind schlichtweg überflüssig, denn es gibt mittlerweile umfangreiche Literatur darüber, bei welcher Verhaltensauffälligkeit welcher Reflex noch nicht integriert worden ist. Das kann nachgelesen (siehe auch im Literaturverzeichnis ab Seite 104), eindeutig beobachtet und braucht demzufolge nicht mehr getestet zu werden.
Als ich im Jahr 2001 das Testen der frühkindlichen Reflexe an mir selber erfahren musste, war ich danach vollkommen irritiert. Ich konnte mich nicht mehr gut orientieren, mir war schummrig, ich war unaufmerksam, ich wurde leicht aggressiv und mir wurde immer wieder schlecht. Alles in allem hatte ich das Gefühl, mir sei der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Diese Verschlechterung meines Befindens – im Grunde hatte ich ja genau das Gegenteil von den Wirkungen des Tests, nämlich Hilfe zum Wohlbefinden erwartet – beunruhigte mich ebenso wie sie mich anspornte, herauszufinden, was sich da in meinem Körper abgespielt hatte. Die erste Erkenntnis: Verschlechterungen des Befindens traten nicht nur bei mir ein, sondern bei den meisten, die getestet wurden – das wirkte zwar einerseits tröstend, „auch anderen geht es so“; blieb jedoch nach wie vor gänzlich unbefriedigend. Wohlbefinden erreichen – das war das Ziel. Beeinträchtigungen erleiden, nur weil ein Anwender meinte, er müsse frühkindliche Reflexe testen?
Bis heute konnte mir noch niemand zufriedenstellend erklären, warum diese Tests durchgeführt werden, jedoch habe ich mir in den vergangenen Jahren fundierte Kenntnisse erarbeitet, die zeigen, dass das Testen frühkindlicher Reflexe nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich ist.
Denn wenn ein Kind, ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener getestet wird, um zu überprüfen, ob einer der Reflexe noch aktiv ist, wird dadurch seine Kompensationsstrategie aufgebrochen, die sich sein Körper „mühsam erarbeitet“ hat, um mit den Unzulänglichkeiten, die sich wegen nicht integrierter frühkindlicher Reflexe ergeben haben, zurechtzukommen. Erinnern wir uns daran, dass der Ursprung der frühkindlichen Reflexe im unbewussten Teil des Gehirns, dem Hirnstamm, liegt. Bis vor einigen Jahren dachte man noch, dass die frühkindlichen Reflexe im emotionalen Teil beheimatet sind, was natürlich nicht stimmen konnte. Denn auch Reptilien haben Reflexe, aber kein emotionales Gehirn. Das heißt, dass der jeweilige Reflex in dem Moment der Testung gereizt wird. Damit ist der Körper des Getesteten überfordert. Das Gehirn bekommt so die Information, es gehe ums Überleben, fängt daraufhin an, auf unterschiedlichste Art im Überlebensmodus zu reagieren und hat dadurch massiven Stress.
Hier nochmals einige Beispiele: Dem Getesteten wird es komisch bis schlecht, die Person wird aggressiv, Schwindel kann sich bemerkbar machen, die Kommunikationsfähigkeit ist verquer, weil ja nicht mehr aus dem bewussten Teil des Gehirns AGIERT wird, sondern aus dem unbewussten Teil wird nur noch REAGIERT – dies dann natürlich einerseits in Überreaktionen oder aber unter Umständen andererseits auch apathisch. Der Getestete befindet sich im Überlebensmodus. – Wer will das schon?
Vor diesem Hintergrund vertrete ich meinen Ansatz.
Die mangelnde Integration von frühkindlichen Reflexen geht einher mit einer mangelnden Zentrierung.
Nicht gut integrierte Reflexe zeigen sich am deutlichsten in einer nicht natürlichen Muskelspannung. Viele Menschen haben eine zu hohe Muskelspannung. Die meisten heutzutage jedoch – und insbesondere die Kinder und Jugendlichen – haben eine zu schlaffe Muskelspannung, was sehr viel anstrengender ist. Denn diese Menschen haben noch unzureichenderer integrierte Reflexe als die Menschen, die einen überhöhten Muskeltonus haben. Denn um in der Körperhaltung – Geierhals und Hohlkreuz – nicht immer wieder zusammenzufallen, muss auf die zu schwache Muskelspannung eine hohe Muskelspannung „drübergelegt“ werden. – Das ist auf Dauer sehr erschöpfend.
Sichtbar wird dies in gekrümmten Haltungen, die Person kann nicht ruhig sitzen, der Kopf wird beim Sitzen abgestützt, ein freies Stehen ist kaum möglich, sie muss sich immer irgendwo anlehnen. Das ständige „Lümmeln“ stellt ebenfalls eindeutig eine Kompensationsstrategie dar: Von Zentrierung keine Spur. Wichtig ist es, dass Kinder NICHT ständig Übungen machen, die zur Auslösung der jeweiligen Reflexe führen.
Betrachten wir als zentrales Beispiel den spinalen Galant-Reflex, der zum Beispiel fürs Einnässen mitverantwortlich ist. Er wird, wie schon erwähnt, ausgelöst durch ein Streichen rechts und links der Wirbelsäule von oben nach unten. Wenn zum Beispiel durch die Übung, bei der ein Kind auf dem Rücken liegt, die Beine lang ausgestreckt oder angezogen, und eine Begleitperson schaukelt den Körper des Kindes immer wieder von oben nach unten, wird dadurch der Spinale Galant Reflex gereizt.
Wie ich immer wieder höre, verstärkt sich in Folge dieser Übung das Einnässen nur noch mehr und manche Kinder fangen sogar an, einzukoten.
Doch mit dieser Übung wird nicht nur der spinale Galant-Reflex gereizt, sondern alle Reflexe, die über eine Kopfneigung nach hinten und vorne ausgelöst werden, weil beim Schaukeln der Kopf nach hinten wegkippt.
Somit werden die anderen Reflexe quasi nebenbei mit ausgelöst, obwohl sie bereits ganz gut integriert worden waren, und es werden hier Kompensationsstrategien in dem Maße aufgebrochen, wie bei Betroffenen, bei denen diese Reflexe schlecht integriert wurden. Diese Auswirkungen von Übungen zum spinalen Galant-Reflexes können nicht gewollt sein.
Die Gefahr derartiger Auswirkungen besteht bei nahezu allen Tests und ihren je nach Behandlungssystem dazugehörigen Übungen der frühkindlichen Reflexe. Dabei bleiben die Reaktionen der Kinder auf die einzelnen Übungen stets abhängig davon, inwieweit Kompensationsstrategien bei ihnen aufgebrochen werden. Je weniger das passiert, umso mehr können die Kinder profitieren.
Mein Ansatz ist, dieses zuvor beschriebene Schaukeln aus der Zentrierung heraus zu initiieren. Dann fühlt es sich für die Betroffenen ganz anders an und die Gefahr unerwünschter Auswirkungen, durch das quasi nebenbei erfolgte Auslösen anderer Reflexe, bleibt minimal. Das gilt für alle anderen Übungen auch. Jedoch würde ich bei einem aktiven spinalen Galant-Reflex aus der notwendigen Abwägung der Risiken die Schaukelübung auf keinen Fall anwenden.
Ein Kind, das ich in die Zentrierung lege, erfährt ein Wohlbefinden, das es vorher nicht hatte, und das Nervensystem beruhigt sich wieder. Dies zeigt ein Fall zu dem geschilderten Test des spinalen Galant-Reflexes. Nachdem ich in so einem Fall der Mutter geraten hatte, die Schaukelübung sofort einzustellen, hörte das Kind schlagartig wieder auf einzukoten und das Einnässen verlor sich durch sanfte Übungen aus dem BalanceHIRO®-Programm.
Das geht nicht immer so einfach. Ich arbeite außerdem kinesiologisch, und zwar mit der Neuroenergetischen® Kinesiologie nach Hugo Tobar.